MARTIN FORTER - GEOGRAF UND ALTLASTENEXPERTE

+++ 30. Oktober 2016 +++

Brandplatz Schweizerhalle 30 Jahre nach dem Inferno

Fragwürdige Legalisierung gescheiterter Aufräumarbeiten

SituationsbildDer Brandplatz der Sandoz in Schweizerhalle (BL): Eine Betonplatte deckt die Brandchemikalien zu. Foto: Martin Forter

Beim Brandplatz Schweizerhalle wurden die meisten der 1989 festgelegten Sanierungsziele nie erreicht. Trotzdem gibt es keine weiteren Aufräumarbeiten. Wie geht das? Indem eine damals an der verpatzten Sanierung beteilige Person rund 20 Jahre später für die Behörden eine neue Wegleitung verfasst. Sie bildet die Basis für einen neuen, jetzt 40'000 Mal höheren Grenzwert für ein Pestizid. Deshalb ist die misslungene Brandplatz-Sanierung jetzt plötzlich gesetzeskonform.

Der Kanton Basel-Landschaft verwässere beim Brandplatz Schweizerhalle die Sanierungsziele von 1989, da sie mit den von MBT Umwelttechnik durchgeführten Sanierungsarbeiten nie erreicht worden seien. Diesen Vorwurf wies Alberto Isenburg, Chef des Amts für Umweltschutz des Kantons Basel Land 2011 weit von sich: Sie müssten sich nicht an die damaligen Abmachungen, sondern «an die aktuellen Gesetze halten».  Weil die seit 1998 gültige Altlastenverordnung keinen Grenzwert für das Pestizid Oxadixyl enthalte, hätten sie einen Solchen festlegen müssen, rechtfertigte sich Isenburg gegenüber der Basellandschaftlichen Zeitung.

Zweifelhafte Darstellung der Baselbieter Behörden

Isenburgs damalige Aussage aber war falsch, wie Recherchen des Basler Altlastenexperten Dr. Martin Forter zeigen. Denn 2011 hat bereits ein Grenzwert gemäss Altlastenverordnung für Oxadixyl existiert. Er stammt aus der Fremd- und Inhaltsstoffverodnung (FIV) und betrug wie für alle Pestizide 0.1 Mikrogramm pro Liter Grundwasser (µg/l), wie Unterlagen des Bundesamts für Umwelt (BAFU) von 2002 und von Chloronet 2009 bestätigen. Dieser Grenzwert entsprach zudem jenem Limit, das Sandoz 1989 mit dem Kanton vereinbart hatte. Er bildete eines von zwei Sanierungszielen, die nie eingehalten wurden. Exakt dieses Sanierungsziel allerdings hatten die Behörden im Baselbiet «vergessen». Erstaunlicherweise bestreiten sie zudem, dass es dieses Sanierungsziel gegeben habe. 

Da der Brandplatz Schweizerhalle in einer Grundwasserschutzzone liegt, müssen gemäss Altlastenverordnung der alte Grenzwert von 2002 von 0.1 µg/l und der neue Grenzwert von 4 Milligramm pro Liter 2011 halbiert werden. Überschreitet die gemessene Schadstoffkonzentration im Grundwasser am Rande der Deponie diesen halben Grenzwert so muss die Altlast saniert werden. Dies gilt seit 1998 eigentlich auch für den Brandplatz in Schweizerhalle, wo 30 Jahre nach dem Inferno von 1986 bei der Sandoz AG noch immer eine Deponie mit Brandchemikalien das Grundwasser stärker verschmutzt, als es die ursprünglich vereinbarten Sanierungsziele zulassen. Das gefährdet auch heute noch das Trinkwasser in den benachbarten Fassungen insbesondere der Gemeinde Muttenz aber auch der Hardwasser AG, woher über 230'000 Menschen ihr Trinkwasser beziehen.

40'000 Mal höherer Grenzwert

Die 2011 im Grundwasser bei der Schweizerhalle-Deponie gemessene Konzentration betrug 8 µg/l. Sie war somit 160 Mal höher als der alte halbe Grenzwert erlaubt. Das verwandelte der Neue, 40'000 Mal höhere Grenzwert von zwei Milligramm pro Liter in das Gegenteil: Jetzt lag die gemessene Konzentration plötzlich 250 Mal tiefer als zugelassen. Ein ähnliches Bild bietet sich auch 2015: Der alte Grenzwert ist 26 bis 134 Mal überschritten, der Neue aber rund 299 bis 1’538 unterschritten.

Wie ist das möglich? Christoph Munz hatte für die Sandoz-Tochter MBT Umwelttechnik AG u.a. die Sanierungsarbeiten teilweise geplant und durchgeführt. 25 Jahre später schreibt er im Auftrag des Bundesamts für Umwelt (BAFU) als Co-Autor eine neue Wegleitung. Sie bildet die Grundlage für den neuen, viel höheren Grenzwert von 2011, der die von der MBT Umwelttechnik verpatzte Brandplatzsanierung im Nachhinein legalisiert.

Aufräumen nach dem Gusto der Sandoz AG

MBT Umwelttechnik führte die Aufräumarbeiten damals in erster Linie nach den Vorstellungen ihrer Muttergesellschaft Sandoz AG durch: «Auf Behördenseite werden wir den Eindruck nicht los, dass MBT [Umwelttechnik] mit allen möglichen Mitteln versucht, das Ergebnis (...) so zurechtzubiegen, dass hinsichtlich Sanierung und Sanierungsaufwand keine neue Situation geschaffen» werde, ist z.B. in einem Protokoll von 1990 zu Lesen. Die Behörde beschuldigt MBT gar der «Manipulation».1 Zudem seien die Entnahme von Proben in gewissen Bereichen der schon längst zugeschütteten Brandplatz-Grube ungenügend gewesen, ist an anderer Stelle zu lesen. Wie «die Modellrechnungen» zeigten, antwortete Christoph Munz von MBT Umwelttechnik den Behörden, habe man «in gewissem Umfang» weniger Schadstoffe ausgraben können, «ohne das Sanierungsziel Grundwasserschutz» aufzuweichen. «Ebenso», so Munz weiter sollte damit «der bautechnische und somit finanzielle Aufwand in einem vertretbaren Rahmen» bleiben.2

Zu viel Gift im Boden belassen

Heute ist klar: MBT Umwelttechnik hat damals zu viele Schadstoffe im Boden belassen. Noch heute gelangt gemäss Angaben von Clariant eine sechs Mal grössere Menge des Pestizids Oxadixyl von der Brandplatz-Deponie ins Grundwasser als 1989 vereinbart. Auch die Vorgabe, dass im Grundwasser auf dem Fabrikgelände die Konzentration von Oxadixyl spätestens nach 20 Jahren unter dem FIV-Grenzwert von 0.1 µg/l liegen müsse , wurde nie erreicht.

Christoph Munz war wie erwähnt an der verpatzten Brandplatz-Sanierung beteiligt. Bei der Fusion der Sandoz AG und der Ciba-Geigy AG zur Novartis AG übernahm u. a. Munz per Managementbuyout 1995 die Sandoz-Tochter MBT-Umwelttechnik und führte sie als Mitbesitzer unter dem Namen BMG AG3 weiter. BMG und somit auch Munz erhielten von den Basler Chemie- und Pharmafirmen immer wieder den Auftrag, ihre Chemiemülldeponien und Altlasten auf den Fabrikgeländen zu untersuchen und zu bearbeiten. Dabei gerieten die Arbeiten vom BMG immer wieder in die Kritik.

Mit neuer Wegleitung den Brandplatz legalisiert

Es war u.a. dieser Christoph Munz von BMG, der für das Bundesamt für Umwelt (BAFU) eine neue Wegleitung zur Herleitung von Grenzwerten bei Altlasten verfasste. Sie wurde 2013 publiziert. Dabei hatte BMG den bisherigen Grenzwert für Pestizide aus der FIV von 0.1 µg/l im Grundwasser bei Altlasten für ungültig erklärt. Munz und sein BMG-Co-Autor begründen dies so: «Bei den Trinkwasserwerten» handle es sich «immer um Vorsorgewerte. (...) Bis zu einem gewissen Grad» würden «bei solchen Vorsorgewerten auch vermutete schädliche Langzeitwirkungen mitberücksichtigt, deren Einfluss auf die menschliche Gesundheit noch nicht wissenschaftlich nachgewiesen» sei. «Demgegenüber» würden Grenzwerte für das Grundwasser bei Altlasten «immer auf erhärteten, wissenschaftlich belegten Fakten» basieren. Sie seien «deshalb tendenziell höher als die vorsorgeorientierten Trinkwasserwerte», schreiben die Autoren Munz und sein BMG-Kollege.4 Tendenziell höher aber ist beschönigend, schnellt doch der Grenzwert für Oxadixyl deshalb 40'000-fach in die Höhe. Dieses Abwenden von der Gesundheitsvorsorge hat gerade auch bei der «Schweizerhalle»-Deponie negative Folgen. Denn die nächste Trinkwasserfassung liegt nur 220 Meter entfernt. Solch schädliche Auswirkungen für das Trinkwasser in Kauf zu nehmen – dazu war die Basler Industrie schon zuvor bereit.

Nicht erlaubte Trinkwasserverschmutzung in Kauf genommen

Die Grenz- und Toleranzwerte der FIV waren ihr schon lange ein Dorn im Auge: Schon 1989 forderte die Firma Sandoz bzw. ihre damalige Tochtergesellschaft MBT Umwelttechnik – die spätere BMG AG – von den Behörden des Kantons Basel-Landschaft eine Bewilligung, dass sie im Trinkwasser neben dem Brandplatz mehr Pestizide zulassen als gesetzlich erlaubt ist. Es ging ihnen dabei um teils sehr giftige Phosphorsäureester-Insektizide wie z.B. Disulfoton, Etrimphos, Thimeton und Parathion sowie um das Fungizid Oxadixyl5. Nach dem Grossbrand bei Sandoz am 1. November 1986 waren es vor allem diese Pestizide, die den Brandplatz massiv verschmutzten und das Trinkwasser in der benachbarten Muttenzer Hard gefährdeten. Sandoz und die spätere BMG AG aber wollten den Brandplatz so wenig aufräumen wie möglich. Sie liessen deshalb im September 1989 gegenüber den Behörden verlauten, der Toleranzwert pro Pestizid von 0,1 µg/l für Trinkwasser der FIV seien «willkürlich» festgelegt. Die Behörden hätten ihn mit dem Ziel fixiert, «dass Pestizide generell nicht ins Trinkwasser gehören», anstatt von «toxikologischen Überlegungen» auszugehen. Da die Grenzwerte nach Ansicht der Industrie «nicht primär zur Abwendung einer direkten Gesundheitsgefährdung» festgesetzt worden seien, könne «in Absprache mit den Behörden» ihre Überschreitung «durchaus vernünftig sein», solange dies «keine gesundheitliche Gefährdung» zur Folge habe, so u.a. die MBT Umwelttechnik im September 1989. Die Behörden des Kantons Basel-Landschaft wiesen dieses Ansinnen damals zurück.

Kantons- und Bundesbehörden eingeknickt

Mit derselben Begründung aber gelingt es der BMG AG bei den Deponien die Pestizid-Grenzwerte der FIV über Bord zu werfen und so die misslungene Sanierung des Brandplatzes Schweizerhalle zu legalisieren. Erstaunlich ist dabei: Das BAFU veröffentlichte die neue Wegleitung erst 2013. Im Baselbiet aber lag sie schon 2011 vor wie die Zeitung «Schweiz am Sonntag» heute berichtet. Dies spricht für ein intensives Lobbying, worauf das Baselbieter Umweltamt und das BAFU eingeknickt zu sein scheinen – auf Kosten der Trinkwassersicherheit in der ganzen Schweiz.

Martin Forter

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[1] Basel-Landschaft, Amt für Umweltschutz und Energie, Bendicht Hurni: Aktennotiz zum 10. Sabo (Sandoz-Boden)-Fachgespräch v. 6.11.1990 u. 12.11.1990, Liestal, 19.11.1990, S. 1f.

[2] Elektrowatt Ingenieurunternehmungen AG: Aktennotiz Nr. 62, betrifft: Sandoz AG, Werk Muttenz, Projekt Sabo (Sandoz-Boden), Bodensanierung, Informationssitzung AUE Kt. Baselland v. 18.5.1989, S. 8.

[3] BMG bedeutet André Bachmann, Christoph Munz, René Gälli. Die BMG AG wurde 2012 von der Arkadis-Gruppe übernommen (BMG: Geschichte, abrufbar unter: http://www.bmgeng.ch/index.php?p=2c&l=de [eingesehen 28.10.2016]).

[4] BMG AG, Christoph Munz u. Christian Niederer: Herleitung von Konzentrationswerten und Feststoff-Grenzwerten, begleitet und herausgegeben vom Bundesamt für Umwelt (BAFU), Vollzugshilfe zur Altlasten-Verordnung (AltlV) und zur Technischen Verordnung über Abfälle (TVA), Bern, 2013, S. 14.

[5] Sandoz AG, Sparte Agro, Produktion, P. Gagnaux, H.P. Schelling an Kantonschemiker Strauss, Liestal: Schreiben betr. Grossbrand Schweizerhalle vom 1.11.2011, Basel, 17.11.1986, Anhang Schadenmeldung Bau 956 (= Lagerliste der abgebrannten Halle) v. 17.11.1986.

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